US-Wahl und Volkes Stimme
Quelle Beitragsbild: NYT
Ein Beitrag von Benjamin Kradolfer
Gottlob ist nun das Jahr des grossen US-Wahl-Getöses glücklich überstanden, und unsere Meinungsmacher scheinen nach all ihren monatelangen Schmäh-Tiraden auf den einen und Lobpreisungen der andern über Nacht wieder einigermassen zur Besinnung gekommen, jedenfalls tönen sie bereits wieder ganz gediegen und abgeklärt und behandeln das Ergebnis des Spektakels als ein hoch respektables Votum: fern von uns übrigen Erdenbewohnern hat Gottes auserwähltes Volk ein ehrwürdiges Wort gesprochen, gehn wir also für die kommenden drei Jahre wieder nüchtern zum business as usual über – bis zum nächsten Wahl-Spektakel-Jahr. Nur auf RT – ausgerechnet – reizt ein Kommentar einer Rachel Marsden mit dem Titel: „Trumps Sieg ist auch einer für alle Amerikaner, die keiner Gehirnwäsche unterzogen wurden“ auch mich zum Kommentieren:
Verehrte Frau Marsden. Laut RT-Angaben sind Sie „Produzentin und Moderatorin verschiedener TV- und Radioproduktionen“ – da ist es zwar sehr verständlich, aber wohl dennoch, wie ich fürchte, blosse Betriebsblindheit, wenn Sie aus der eben beendeten Wahl das Fazit ziehen:
„Die schweigende Mehrheit, die sich zunehmend an den Rand gedrängt, wenn nicht gar geradezu zensiert fühlte, hat in Trump eine Stimme gefunden, die mit ihrer eigenen harmoniert.“
Stimme der schweigenden Mehrheit? Originell – aber wie geht das? (Lassen wir dabei mal aussen vor, dass bis auf die US-Amerikaner die ganze Menschheit eine Mehrheit ist, die in all diesen Wahlen, so sehr sie für ihr Geschick alleweil so überaus match-entscheidend sein sollen, zum Schweigen verurteilt ist.) Heisst das z.B.: Trumps notorisches, geradezu pathologisches Lügen ist, was all die Wahlberechtigten insgeheim denken, die bisher notorisch – aus welchen Gründen auch immer: Desinteresse, Faulheit, Angst, keine Zeit, gewichtigere Probleme… – den Wahlen ferngeblieben waren, sich nun aber durch Trumps überzeugendes Auftreten auf einmal zu begeisterter Polit-Teilhabe haben hinreissen lassen?
Ich fürchte, Frau Marsden, Sie verteidigen nur die fragwürdige Ehre Ihres eigenen Medien-Kanals, wenn Sie so tun, als bildete sich in den Prozentzahlen der Stimmenverteilung komma-genau die Meinungsvielfalt einer Gesamtbevölkerung ab. Bloss: wie hoch war denn überhaupt Wahlbeteiligung? Und warum ignorieren Sie die in ihrem Plädoyer für die Unzerstörbarkeit der US-Medien-Demokratie, so wie bisher praktisch alle andern hiesigen Berichterstatter auch? Wenn wir davon ausgehen, dass sie wie die letzten Male bei +/–60% gelegen hat, dann haben wir immer noch eine nicht unerhebliche, tatsächlich schweigende Minderheit von ca. 40%, und auf die (wahlberechtigte) Gesamtbevölkerung angerechnet, hat immer noch nur eine (im besten Falle) etwa gleichgrosse Minderheit Trump gewählt, auch wenn zugegebenermassen die Minderheit der Harris-Wähler kleiner ist. Aber wie auch immer: Glauben Sie im Ernst, dass sich das zunehmende Elend, in dem zahllose US-Amerikaner praktisch alternativlos zu leben haben, dass sich ihr sozial wie auch umwelt-, drogen- und waffentechnisch zunehmend unsicherer Alltag authentisch ausdrückt in der Entscheidung zwischen einem Kreuzchen hie oder da alle vier Jahre? Und damit den Gang der Welt in den kommenden vier Jahren verlässlich bestimmt?
Naja klar: es leuchtet ein, dass jemand, der wie Sie in diesem alle schmutzigen Rekorde brechenden Wahljahr 2024 sein Geld v.a. damit verdient zu haben scheint, die Bevölkerung schreibend und TV-&-Radio-talkend ins eigene Lager zu ziehen, und das auch glücklich geschafft hat, uns jetzt davon überzeugen will, das Ergebnis sei ein Sieg der gesellschaftlichen Vernunft – nichts anderes haben Sie ja wohl seit Beginn des Jahres gepredigt. Aber damit überschätzen Sie nur sich selber ebenso maßlos wie die Wahl – und das wohl schlicht und einfach deshalb, weil ihr Lager gerade mal gewonnen hat. Zugegeben: die Propagandisten des Gegenlagers waren sicher nicht vernünftiger als Sie und ihre Partei-Kollegen, aber: unvernünftiger sicher auch nicht – allenfalls hatten sie mit ihrer Taktik weniger Glück. Aber soweit ich zurückdenken kann, war noch jede US-Präsidentenwahl eine immer unverhohlener von flächendeckender und allseitiger Meinungs-Manipulation geprägte Show-Veranstaltung, nur noch gigantischer aufgezogen als alle sonstigen. Und ich gebe ja zu: das hat bisher noch jedes Mal aufs Neue einwandfrei funktioniert, wenn auch mit immer grösserem Aufwand an Dollar-Millionen und Dreck-Schmeißereien, und es hat auch diesmal wieder in den Medien rund um den Erdball seine zahllosen freiwilligen Helfer sowie selbstverständlich auch sein begeistertes Massenpublikum gefunden – aber wenn Sie mir weismachen wollen, dass sich darin eine tiefere oder höhere Weisheit des Volkes ausdrückt, dann ist das entweder das Ergebnis von in Ihrem Falle erfolgreicher Hirnwäsche oder aber Ihr unmittelbarer Versuch, auch nach der Wahl noch mein Hirn zu waschen.
Schon Ihr Titel behauptet: Gehirnwäsche nur bei denen, die gegen Trump mobilisierten, aber keine bei seinen Anhängern! – Nun, Frau Marsden, ich versichere Ihnen: mich können Sie weder zu den einen noch den andern zählen, denn selbst wenn ich ausnahmsweise einmal in meinem Leben als Wähler zugelassen gewesen wäre, hätte ich mich wohl nur durch schweigendes Nichtwählen ausgedrückt. Und das ganz einfach deshalb, weil meines Erachtens eine Wahl-Analyse wie die Ihre auf jener höchst erfolgreichen Hirnwäsche basiert, die den Erdenbewohnern seit Jahrzehnten einpaukt, im Weissen Haus sitze der jeweils „mächtigste Mann der Welt“! – Ja denkste:
Schon Anfang der 1960er Jahre (ich selber war gerade mal zwei, drei Jahre alt) hat ein damals scheidender derart „Mächtigster“, Dwight D. Eisenhower, in seiner letzten Rede an die Nation eindringlich vor dem sog. militärisch-industriellen Komplex (miK) und dessen wachsender, unheilvoller Bedeutung für die USA und die ganze Welt gewarnt. Das leistete sich dieser Präsident aber erst ganz am Ende seiner beiden Amtszeiten; nicht ganz vier Jahre zuvor, beim Antritt seiner zweiten Amts-Periode (mich selber gab es noch nicht), hatte er diesem Monstrum mit der sog. Eisenhower-Doktrin noch regierungsamtliche Voll-Unterstützung rund um den Globus zusichern müssen, sonst wär’s wohl schwupps vorbei gewesen mit seiner Präsidentschaft. Man ist also wohl gut beraten, wenn man davon ausgeht, dass Eisenhower als der höchst erfahrene Militär und berühmte General im Zweiten Weltkrieg, der er war, und noch dazu nach acht Jahren administrativ-operativen Erfahrungen als US-Geschäftsführer im Weissen Haus sehr genau wusste, wovon er redete bei seinem Abschied aus dem öffentlichen Leben. Womöglich war sogar sein unmittelbarer Nachfolger im Amt, der Held der Jugend John F. Kennedy, vom Geiste dieser Rede etwas gar zu sehr beseelt, als er einen Atomkrieg mit der UdSSR verhinderte, indem er sich zu Verhandlungen mit dem sowjetischen Generalsekretär Chruschtschow herabliess; leider ist er für diese Leistung nicht gar so berühmt geworden, wie er es meines Erachtens verdient hätte – und wie er es bald darauf dann tatsächlich werden sollte: aber vor allem andern für sein spektakuläres Ausscheiden aus dem Amt.
Welch pikantes Detail übrigens, dass auch für Trumps beinahe-vorzeitigen Abschied aus dem Wahlkampf ein Einzeltäter verantwortlich gewesen sein soll und den notorischen Lügner für viele (andernfalls vielleicht schweigende?) Wähler wohl vollends in den Stand eines von Gott erwählten Retters der Nation katapultierte… Ganz nebenbei, aber in diesem Zusammenhang: So wenig Konkretes wir heute naturgemäss über den Stein des Anstosses von Eisenhowers Warnung Anfang der 1960er wissen können, so verstehe ich doch seine sorgenvollen Worte nicht nur über dessen damaligen Zustand, sondern auch darüber, dass und wie sich die Dinge dort in Zukunft entwickeln könnten, in dem Sinne, dass auch wir Heutigen den militärisch-industriellen Komplex besser für ein höchst lernfähiges Gebilde halten.
Was also hat es nun zu bedeuten, dass in den über 60 Jahren seit Eisenhowers eindringlicher Warnung kaum noch öffentlich die Rede war bzw. ist von diesem raffgierigen, alles Demokratische aushöhlenden, zerstörerischen Geschwür miK? Hat sich das Monster vielleicht inzwischen selbst abgeschafft? so bescheiden und dezent, dass niemand es gemerkt hat? – Nein, bestimmt nicht, im Gegenteil: Eisenhowers Warnung ist heute mit ziemlicher Sicherheit noch viel aktueller, als sie war, da er sie aussprach. (…wie viele und für bestimmte Kreise höchst einträgliche Kriege rund um den Globus hat denn z.B. allein schon die US-Army seither angezettelt und angeführt…?) – Neineinein:
Bestimmt ist jeder Mann im Weissen Haus nur ein Hampelmann, und zwar nicht nur des miK, sondern noch dazu auch der Wall Street, des Pentagon & des Silicon Valley (immer vorausgesetzt, diese alle sind im Hinter- und Untergrunde nicht sowieso unentwirrbar ineinander verschwitzt und miteinander verbandelt) – wer dort sitzt und an den Fäden ziehen und an den Hebeln hebeln kann, ist wirklich mächtig, jenseits jeder demokratischen Kontrolle.
Und Trump? Ist nur ein besonders unverhohlener Propagandist genau dieses unter allen Umständen skrupellosen Brutalo-Kapitalismus und passt den Herren über die grossen Geldströme in der Welt bestimmt nicht weniger ins Konzept als vorher ein Biden und alle andern, bzw. als eine Frau Harris gepasst hätte, wenn denn sie und nicht er…
Und selbst wenn, Frau Marsden: selbst wenn die reisserischen Unterschiede der „Argumente“, mit denen nun das ganze Jahr über die Kampfhähne und -hennen mit Getöse aufeinander losgegangen sind, tatsächlich entscheidend gewesen sein sollten für die prozentuale Verteilung der abgegebenen Stimmen auf die Parteien – Sie leben in einer Traumwelt, wenn Sie allen Ernstes glauben, dass sie auch einen Unterschied in den Prinzipien machen, nach denen das Amt nun ausgeführt wird. Dass dem in Wirklichkeit nicht so ist, dafür sorgen auch die Medien, u.a. mit ihren unentwegten Behauptungen, das Gegenteil sei der Fall. Also auch Sie.