Sind die Öffentlich-Rechtlichen noch zu retten? Ein Insider gibt Antwort
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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) soll reformiert werden. Unter einer Reform von ARD und ZDF verstehen die meisten hierzulande – ebenso wie der für Rundfunkfragen zuständige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer – eine Reduzierung von Gehältern der Spitzenkräfte, sofern sie nicht gleich für eine Abschaffung der Rundfunkgebühr plädieren.
420.000 Euro pro Jahr für den WDR-Intendanten oder 372.000 Euro jährlich für den Intendanten der größten europäischen Fernsehanstalt ZDF – höhere Vergütungen als die des Bundeskanzlers, unangemessen für diese Positionen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten?
Ein Beitrag von Alexander Kulpok
Hugh Carleton Greene, der spätere BBC-Generaldirektor, der im Auftrag der britischen Besatzungsmacht nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in Köln begründete, hatte aus seiner Erfahrung zwei Maximen für die Sendeanstalten und ihre Führungskräfte ausgegeben: „Die Chance liegt im Programm“ und „nur fachlich und charakterlich untadelige Persönlichkeiten gehören in die Spitzenpositionen“.
Es wird einfach weiter getalkt und gekocht
Doch die Zeiten haben sich geändert – die Programme und die Persönlichkeiten auch. So ist es ungewiss, ob durch die Streichung von 20 Radioprogrammen der Öffentlich-Rechtlichen, durch die Aktivierung von Stefan Raab oder durch die Zusammenlegung von Spartenprogrammen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Angeboten irgendetwas spürbar verändert oder verbessert wird. Da wird sicher weiter getalkt und gekocht und weitergemacht mit WaPos und SOKOs und mit „In aller Freundschaft“ am laufenden Band bis zum Abwinken.
Greenes öffentlich-rechtlicher Rundfunk musste hingegen Information, Unterhaltung und Bildung vermitteln – staatsfern, der Wahrheit verpflichtet und von gesellschaftlich relevanten Kräften kontrolliert, zu denen selbstverständlich auch die politischen Parteien gehörten, die gemäß Grundgesetz an der politischen Willensbildung mitwirkten. Mit dieser Einstellung hatte Greene dem NWDR-Redakteur Karl-Eduard von Schnitzler, dessen Intelligenz er durchaus schätzte, gekündigt und wegen kommunistischer Umtriebe in die DDR entlassen.
Greene sprach mit größtem Engagement über seine Zeit als Zeitungskorrespondent im Nazi-Reich. Noch vor Kriegsbeginn war er im Mai 1939 aus Deutschland ausgewiesen worden. Die Erinnerung an die Gleichschaltung der Medien unter Propagandaminister Goebbels, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und die furchtbaren Auswirkungen von staatlich verordneten und über die Medien verbreiteten Hetzkampagnen hatten ihn bei der Organisation eines neuen Rundfunkmodells für Deutschland geleitet. Dabei machte er immer wieder ein Eingeständnis: Er habe die unterschiedliche Rolle der politischen Parteien im Vereinigten Königreich und in der föderalen Bundesrepublik nicht hinreichend beachtet. Hier war jedes Bundesland darauf bedacht, eine eigene Sendeanstalt zu besitzen. Und jedes Bundesland drängte darauf, in den Spitzenpositionen seines Senders Persönlichkeiten der eigenen, regierenden politischen Couleur zu haben.
Adenauers Anschlag
1950 wurde die ARD gegründet. Mit der Gründung des Senders Freies Berlin (SFB) 1953/54 im Nicht-Bundesland West-Berlin erhielt Greenes Konstruktion allerdings einen Knacks. Aus dem Berliner Studio des NWDR am Heidelberger Platz wurde der Sendeort des SFB und aus dem NWDR der WDR und der NDR. Eine Aufspaltung, die nicht ohne Kritik blieb – sogar vom späteren Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz.
Der erste veritable Anschlag auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kam in den Fünfzigerjahren ausgerechnet vom Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dem passte bei der ARD die ganze Richtung nicht. Er meinte, vor allem WDR und NDR würden einseitig zu Lasten seiner CDU agieren. Daher wurde am 1. August 1960 die Deutschland-Fernsehen GmbH gegründet, die als „Adenauer-Fernsehen“ in die Geschichte eingegangen ist und am 28. Februar 1961 vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Als Kompromiss und als Länderanstalt wurde das ZDF ins Leben gerufen, das 1963 auf Sendung ging.
Die zweite Attacke auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ritt 1980 Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht, der den NDR-Staatsvertrag (erfolglos) kündigte mit dem Ziel einer Neuorientierung.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gilt bis heute parteiübergreifend als hohes Gut, als wichtiger Grundpfeiler unserer Demokratie. Aktuell nur bestritten von der AfD. Es verwundert daher nicht, dass es Politikern oder den konkurrierenden, zum Teil in ökonomische Schieflage geratenen Zeitungsverlagen nicht gelang, den Bestand von ARD und ZDF ernstlich zu gefährden. Allerdings ging das von vielen als „Monopol“ empfundene alleinige Senderecht mit der Einführung des dualen Rundfunksystems und 1984 mit dem Start von privat-kommerziellen Hörfunk- und TV-Anstalten verloren.
Letztlich folgenlose Fehlentwicklungen gab es bei den Öffentlich-Rechtlichen genug. Folgenlos wohl deshalb, weil herausragende Intendanten wie Hans Bausch (SDR), Dieter Stolte (ZDF), Albert Scharf (BR), Wolfgang Lehr (HR), Franz Barsig (SFB) oder Klaus von Bismarck (WDR) das System managten, unterstützt von begnadeten Programm-Machern wie Peter Scholl-Latour, Hans-Joachim Kulenkampff oder Dieter Hildebrandt – alles Männer, wohlgemerkt.
Gruber wird mit 21 von 22 Stimmen abgewählt
Einmalig war 1988 die Abwahl des Deutschlandfunk-Intendanten Edmund Gruber wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten und eines rüden Führungsstils durch den DLF-Rundfunkrat mit 21 von 22 Stimmen. Ähnliche Vorgänge spielten sich – mit weniger schwerwiegenden Folgen für die Schuldigen – beim RBB-Vorgänger SFB ab. Als der in Management-Aufgaben unerfahrene Journalist Lothar Loewe 1980 als SFB-Intendant seinen Hut nehmen musste, kam mit vielen Vorschuss-Lorbeeren vom WDR der Jurist Günter Herrmann, der für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk das missverständliche Wort von der „Grundversorgung“ (Wasser und Brot?) geprägt hatte. Der im SFB-Rundfunkrat durch seine Sachkenntnis einflussreiche CDU-Mann Klaus-Rüdiger Landowsky bezeichnet Herrmann bis heute als „Aliud“, als eine Falschlieferung.
Denn Landowsky hatte sich von seinen Parteifreunden in NRW und beim WDR hinters Licht führen lassen. Das wurde bereits kurz vor Herrmanns Amtsantritt deutlich. Der Vorsitzende des SFB-Rundfunkrats hatte Herrmann am Telefon die Höhe seines jährlichen Gehalts als SFB-Intendant mitgeteilt: 217.000 D-Mark. Herrmann reklamierte einen „Hörfehler“ und verlangte noch vor dem ersten Wahlgang 270.000 D-Mark, die er schließlich auch erhielt. In diesem Stil waberte die SFB-Ära Herrmann weiter, von Mobbing und Intrigen garniert, bis der Rundfunkrat 1989 die Reißleine zog.
1989/90 landeten dann der West-Berliner Journalisten-Verband und einige Parteikreise ihren bis dahin größten Coup, indem sie den CSU-Mann Günther von Lojewski vom Bayerischen Rundfunk in den Sessel des SFB-Intendanten hievten. Andere Kandidaten wurden nicht berücksichtigt oder mit unlauteren Mitteln aus dem Feld geschlagen.
Eine Anfechtung dieser Intendantenwahl fiel der Zeitmaschine zum Opfer und wurde schließlich eingestellt. Als Lojewski sich 1997 zurückzog, empfahl er seinen Intimus Horst Schättle als Nachfolger, den er seit ZDF-Zeiten kannte und 1990 zum Fernsehdirektor gemacht hatte. Schättle genoss den schönfärberischen Ruf eines „Genussmenschen“, was nichts anderes als den starken Konsum von Zigaretten und Alkohol umschrieb. So wählte der SFB-Rundfunkrat Schättle erst, nachdem andere Kandidaten durchgefallen waren, 1998 zum letzten Intendanten des SFB.
Intendantengehalt auf 220.000 D-Mark erhöht
Es kam zur Ironie der deutschen Rundfunkgeschichte, die mit der Gründung des RBB und ihren Folgen der ARD – und damit dem ÖRR insgesamt – den bisher schwersten Imageschaden seit ihrem Bestehen zugefügt hat. Just in dem Moment, als die Gleichstellung der Geschlechter in den Sendeanstalten, für die wir als Personalvertreter und Gremienmitglieder jahrzehntelang gekämpft hatten, auf dem besten Wege und nahezu erreicht war (nach mehr als einem Jahrzehnt bietet der RBB mit seinem weiblichen Führungstrio jetzt das beste Beispiel dafür), genau zu diesem Zeitpunkt ging der RBB mit einer Frau an der Spitze als Zusammenschluss von ORB und SFB in den von H.C. Greene einst eingeläuteten Wettbewerb um Programmerfolge und charakterfeste Spitzenkräfte. Weil es nun zwei Sender anstelle von ORB und SFB waren, wurde das Intendantengehalt zuerst einmal auf 220.000 D-Mark jährlich erhöht.
Auffälliger waren die Bilder von Protestversammlungen mit dem Verdi-Vorsitzenden Bsirske und anderen Gewerkschaftsvertretern im RBB. Kein Vergleich mit dem aktuellen Streik im RBB und den Klagen der Beschäftigten anhand eines Vertrauensverlusts. In den ersten Tagen des RBB 2003 protestierte die Belegschaft, weil ein Mitarbeiter, der Moderator Jan Lerch, seine gewerkschaftlichen Rechte wahrnehmen wollte und daraufhin rücksichtslos in die Wüste geschickt wurde.
Kein Vergleich zu heute. Auch nicht die – aus rechtlichen Gründen erfolglosen – Versuche der neuen RBB-Geschäftsleitung mit dem von der Intendantin aus Köln geholten und bekanntlich im Zuge des Schlesinger-Skandals entlassenen Verwaltungsdirektors Hagen Brandstätter, der die Beihilfeberechtigung für Rentner und Pensionäre abschaffen wollte. Dafür gab es plötzlich Zulagen und Boni, die bei Großkonzernen üblich, aber beim gebührenfinanzierten Rundfunk völlig unangebracht sind. Die Verschwendungssucht nahm ihren Lauf und hat den RBB schließlich in eine prekäre finanzielle Lage geführt, die wohl nur eine ausgewiesene Fachkraft wie Nicole Küchler-Stahn als neue Verwaltungsdirektorin mittelfristig bewältigen kann.
Schlesinger stürzt den RBB in eine nie dagewesene Imagekrise
Denn auf die RBB-Intendantin Reim folgte die Intendantin Patricia Schlesinger, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk 2022 in eine nie dagewesene Imagekrise stürzte. Hervorgerufen durch die Veröffentlichungen über Vorteilsnahme und Vetternwirtschaft, die zum Teil von eigenen Rechercheteams des RBB zusammengetragen wurden, darunter angeblich Abrechnungen auf RBB-Kosten für private Einladungen und Reisen. An Megalomanie grenzend auch der geplante, millionenschwere Neubau eines Medienhauses. Zu alledem ermittelte dann auch noch der Berliner Generalstaatsanwalt. Aber – still ruht der See. Das Getose um Frau Schlesinger ist verstummt. War da nix oder kommt der große Knall noch?
Alexander Kulpok ist Journalist und Autor. Er arbeitete im Sender Freies Berlin, zunächst im Jugendfunk, dann als Reporter, Redakteur, Moderator und schließlich lange als Leiter der ARD-/ZDF-Videotextredaktion. Sein Open-Source-Beitrag erschien zuerst in der Berliner Zeitung.