Die Mücke im Schlafzimmer – Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Zivilgesellschaft

Die Mücke im Schlafzimmer – Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Zivilgesellschaft

Bildquelle: Buchse12 von pixabay

Die Mücke im Schlafzimmer – Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Zivilgesellschaft

Beitrag von Sevda Can Arslan

In unserer Vorlesung zur Zukunft der Medien waren am 18. Juni 2019 drei Menschen zu Gast, die sich als Teil der Zivilgesellschaft kritisch mit Medien auseinandersetzen: Erstens Maren Müller, die 2014 mit ihrer Petition „Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag!“ in nur zwei Wochen fast eine Viertelmillion Unterschriften sammelte und daraufhin den Verein Ständige Publikumskonferenz gründete. Zweitens Friedhelm Klinkhammer, der früher beim NDR arbeitete und dort auch eine Zeit lang Gesamtpersonalratsvorsitzender war. Und Drittens Volker Bräutigam, der von der LKW-Kabine über ein paar Umwege als Quereinsteiger in der Redaktion der Tagesschau landete. Müller, Klinkhammer und Bräutigam arbeiten seit Jahren zusammen, im August 2019 kommt ihr erstes gemeinsames Buch heraus.

Ihr Fokus: Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen –  ob Tageschau oder Panorama, sie nehmen verschiedene Formate unter die Lupe. Ihre Kritik: Einseitige, unausgewogene, tendenziöse, manipulative, desinformative Berichterstattung – wichtige Ereignisse werden weggelassen, andere falsch dargestellt oder durch die Nutzung bestimmter Begriffen schon eine Deutung nahegelegt. Ihr Mittel: Öffentliche Programmbeschwerden – eine im Rundfunkstaatsvertrag festgelegte formelle Beschwerdemöglichkeit.

hr Fokus: Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – ob Tageschau oder Panorama, sie nehmen verschiedene Formate unter die Lupe. Ihre Kritik: Einseitige, unausgewogene, tendenziöse, manipulative, desinformative Berichterstattung – wichtige Ereignisse werden weggelassen, andere falsch dargestellt oder durch die Nutzung bestimmter Begriffen schon eine Deutung nahegelegt. Ihr Mittel: Öffentliche Programmbeschwerden – eine im Rundfunkstaatsvertrag festgelegte formelle Beschwerdemöglichkeit.

Dafür arbeiten sie sechs bis acht Stunden, manchmal auch zehn Stunden am Tag. Möglich ist das für Klinkhammer und Bräutigam, da sie beide Rentner sind. Als Maren Müller den Verein startete ging sie gerade keiner Erwerbsarbeit nach. Die 50 ordentlichen Mitglieder des Vereins blieben „leider sehr passiv“, sie machte die Hauptarbeit. Seit ihrem neuen Job kann sie das Arbeitspensum für Blog und Verein kaum mehr leisten. Die Aufgaben von Müller, Klinkhammer und Bräutigam bestehen darin, Sendungen anzusehen, danach weitere Quellen zu recherchieren und darüber zu schreiben. Sie verfassen Programmbeschwerden, mittlerweile haben sie über 400 eingereicht. Bisher wurden alle abgelehnt. Auch auf die Ablehnungen antworten sie wieder.

Ihre Artikel veröffentlichen sie auf dem Blog der Publikumskonferenz, Klinkhammer und Bräutigam haben bedienen außerdem monatlich ihre Kolumne „Wunderlampe“ bei Rubikon. Manche ihrer Texte landen auf den Nachdenkseiten, andere werden bei RT Deutschland veröffentlicht. Mit dem russischen Sender in Verbindung zu stehen, macht Klinkhammer nichts aus. Er sagt, er würde seine Texte auch bei der Bild Zeitung veröffentlichen, wenn sie das wöllte. Wichtiger als die Plattform ist ihm, dass ihre Artikel viele Menschen erreichen. Daher auch die Sprache: Bräutigam werden oft seine derben oder harschen Formulierungen vorgeworfen. Er findet, man solle die Sachen sagen, wie sie sind. Außerdem würden eben viele Menschen so eine Sprache sprechen und nur wenn man diese vielen Menschen erreiche, könne sich überhaupt etwas ändern.

Ändert sich denn etwas? Der Eindruck der drei Medienkritiker_innen ist, dass die öffentliche-rechtlichen Nachrichtensendungen „immer schlimmer, immer dreister“ werden. Sie glauben, dass sie zu dritt „nicht gewinnen können“, haben nicht die Erwartungen, dass ihre Programmbeschwerden wirklich etwas am Programm ändern. Sie verstehen ihre Arbeit als Aufklärung. Sie schreiben für die Netzöffentlichkeit, für das interessierte Publikum – immerhin, bis zu 30.000 Menschen klicken ihre Artikel an. Müller meint, man könne zwar nichts Großes ausrichten, aber immerhin stören – wie eine Mücke im Schlafzimmer! Immerhin: Einmal musste Thomas Roth sich aufgrund einer Programmbeschwerde öffentlich entschuldigen.

Auch innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen rumort es. Einige Mitarbeiter_innen freuen sich über die Programmbeschwerden ihrer ehemaligen Kollegen. Mittlerweile arbeiten die meisten Journalist_innen als Freie und in solch prekären Verhältnisse wage es keiner mehr, sich selbst kritisch zu äußern. In früheren Zeiten sei das noch gegangen, als Festangestellte konnte man interne Kritik äußern.

Müller hält daher Unabhängigkeit für zentral. Ihr ist die Medienkritik professioneller Journalist_innen oft nicht konsequent genug. Sie erklärt deren Haltung damit, dass diese Sorge haben müssten, beruflich nicht mehr weiterzukommen, wenn sie den Journalismus kritisieren. Als Nutzerin dagegen sei sie frei von Karrierezwängen und kann deswegen „Kritik von unten“, „von der Graswurzel“ machen. Sie versteht sich als Eigentümerin des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks und wehrt sich mit ihrem Verein gegen Desinformation. Müller, Klinkhammer und Bräutigam machen diese Arbeit schon eine ganze Weile, sie wirken immernoch frisch, motiviert und kampflustig.

Sie kämpfen für einen guten Nachrichtenjournalismus, da sie diesen für konstitutiv für die Demokratie halten. Müller möchte erreichen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich an seine eigenen Gesetze hält. Bräutigam will, dass die „Prozesse, die bei der Entstehung und Verbreitung von Nachrichten ablaufen, transparent und nachvollziehbar“ gemacht werden und es „externe Institutionen gibt, die die Kontrolle über das Programm und die Organisation haben, ein Mediengerichtswesen“. Außerdem fordert er, dass innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Hierarchien abgebaut werden, sodass Journalist_innen keine Karriereziele verfolgen müssen. Auch Klinkhammer verlangt bessere Arbeitsbedingungen: Beseitigung der internen Flexibilität in Redaktionen stattdessen feste Arbeitsverhältnisse und Kündigungsschutz. Das mache unabhängig. Außerdem sollen wieder mehr Quereinsteiger_innen in den Journalismus, die das „Bewusstsein von unten“ mitbringen. Momentan werden sie ausgegrenzt, da schon für ein Volontariat ein Hochschulstudium gefordert wird. Als weitere Kriterien für guten Nachrichtenjournalismus nennen die drei noch Schlagworte wie Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Sachbezogenheit, Ausgewogenheit, Kontext und Perspektivenvielfalt. Das erklärt auch Müllers Ratschlag dafür, sich heutzutage gut zu informieren: Keine konkrete Sendung oder Zeitung, sondern: „Die Mischung macht’s!“.

Weitere interessante Interviews finden Sie auf der Youtube-Seite von Media Future Lab

Insbesondere das Interview aus der Perspektive eines Rundfunk-Rates mit Heiko Hilker ist hochinteressant und in Hinsicht auf demokratische Perspektiven für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk absolut zu empfehlen.