Hofdichter westlicher Siege — Marcus Keupp

„Experten“ wie er sind aber leider auch Apologeten zur Weiterführung von Kriegen.

Mögen die von ihnen gelieferten Analysen auch fachlich sauber verfasste Komponente beinhalten. In den Kriegen des „Wertewestens“ gegen Viren, zur Klimarettung, gegen Diktaturen, vorneweg Russland, sind es immer kaum mehr als eine Handvoll in den Medien herumgereichter Experten, deren Expertisen durch eine hochgradig propagandistisch ausgerichtete Note geprägt werden. Gerade Letzteres ist es aber, das unser Unterbewusstes formt, um uns auf eine Seite, auf „ihre“ Seite, im gerade angesagten Krieg zu ziehen.

Von Peter Frey

Solch eine Mischung ist freilich geeignet, die Protagonisten selbst, eben die „Experten“ zielstrebig in die Idiotie zu führen. Idealerweise hängt man dann als Experte selbst tief drin in den Narrativen, die irrational und gerade deshalb wirkmächtig an das Publikum vermittelt werden. Was nichts anderes bedeutet, als dass man im jeweiligen Narrativ verstrickt ist und die absurde Logik leidenschaftlich vertritt.

Wie gesagt, ist die jeweilige Anzahl dieser Art von Experten überschaubar. Aber sie sind es, die eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung des Informationsraumes spielen. Sie sind es, die Politikern wie auch „Otto Normalverbraucher“ die „passenden“ Argumente in die Hand drücken. Sie sind die für die Gestalter im Hintergrund erforderlichen Architekten der nur scheinbar öffentlichen, in Wirklichkeit der zu veröffentlichenden Meinung. Im aktuellen Machtsystem sind Experten unverzichtbar, um die zum Erhalt benötigte Matrix am Leben zu erhalten.

„Internationaler Terrorismus“, „Klimawende“, PLandemie und Ukraine-Konflikt

Seit dem militärischen Eintreten Russlands in den Ukraine-Konflikt im Februar 2022 erleben wir ein stetiges Herbeireden von Russlands bevorstehender Niederlage. Als Erklärung müssen die üblichen Stereotypen eines imperialen, diktatorischen, gleichzeitig aber rückständigen Russlands herhalten, um so etwas wie Gesetzmäßigkeiten für das Scheitern Russlands und den unvermeidlichen Erfolg westlicher Politik herleiten zu können. Ein solches Bild ist zwar frei erfunden, möchte aber in unseren emotionalen Gehirnen zur Wahrheit werden. Damit wir bereit sind, den Krieg mitzutragen. Nur darum geht es.

Experten bestimmter Coleur werden in den „Qualitätsmedien“ gern aufgeführt. Sie hatten und haben ihre Entsprechung beim Thema Corona, hatten es beim Thema „internationaler Terrorismus“ und genauso auch beim Thema Klima. Alle Themen, welche die Bevölkerungen in Angst und Hysterie zu halten versuchen, haben interessanterweise eine Komponente der „Aufklärung“ durch „unabhängige Experten“.

Marcus Keupp, um den es in diesem Text gehen wird, nennt sich Militärökonom. Er wirkt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich (1). Im Bereich Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften doziert Marcus Keupp zu eben dem Thema Militärökonomie (2). Seine militärökonomischen und darüber hinausgehenden Einlassungen zum Krieg in der Ukraine lassen allerdings — wie wir gleich sehen werden — die eigentlich zu erwartende Kompetenz vermissen. So es um die Interessen der Profiteure dieses Krieges geht, leistet Keupp freilich ausgezeichnete Arbeit.

Experten der besonderen Art, die so bedingungslos die Propaganda der „guten Seite“ vertreten — nach der die „böse Seite“ nicht nur unmenschlich sondern auch unfähig sein muss —, werden in den Massenmedien fleißig herumgereicht. Den Autor würde schon interessieren, wie sich dieses Herumreichen organisatorisch abspielt, welche Strukturen und Netzwerke das absichern. Ob Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Welt, Neue Zürcher Zeitung, Redaktionsnetzwerk Deutschland, Focus oder auch die öffentlich-rechtlichen Sender: Alle bieten Sie dem „Militärexperten“ seit vielen Monaten eine Bühne für die immer gleichen Botschaften. Das nennt man gleichgeschaltete Berichterstattung. Wurde (auch) Marcus Keupp den „Qualitätsmedien“ gewissermaßen als Experte — von wem auch immer — angeboten?

Erstaunliches also prognostizierte der als Militärexperte herumgereichte Marcus Keupp im März und April des Jahres bereitwillig jedem Massenmedium gegenüber, welches das Erhoffte als vermeintliche Realität wahrgenommen wissen mochte. Sein Blick in die Glaskugel erinnert mich an nach ähnlichen Prinzipien verkündete Prophezeiungen zu anderen gesellschaftlichen Themen.

  1. Wir werden alle sterben durch Corona, wenn wir nicht das tun: „Solidarisch Abstand halten“, maskiert durchs Leben gehen und regelmäßig unseren „Immunschutz“ durch mRNA-Injektionen „auffrischen“. Entsprechend „argumentier(t)en“ die Medien und zogen die immer gleichen, „passenden Experten“ zu Rate.
  2. Wir werden alle sterben durch die „Klimaerhitzung“, wenn wir nicht das tun: „Grüne Technologien“ einführen, Kohlendioxid verbuddeln, verflüssigtes Frackingas nutzen, unsere Landwirtschaft und unser Essverhalten reglementieren, und so weiter. Entsprechend „argumentier(t)en“ die Medien und zogen die immer gleichen, „passenden Experten“ zu Rate.
  3. Wir werden alle sterben durch den „internationalen Terrorismus“, wenn wir nicht das tun: Uns komplett überwachen lassen, Grundrechte aufgeben, uns in anderen Staaten militärisch „engagieren“. Entsprechend „argumentier(t)en“ die Medien und zogen die immer gleichen, „passenden Experten“ zu Rate.

Im Falle des Ukraine-Konfliktes lautet es dann, nur leicht überspitzt, in etwa so:

Wir werden alle sterben, wenn wir jetzt nicht bedingungslos die „demokratische Ukraine“ in ihrem „heroischen Verteidigungskampf“ gegen den „russischen Aggressor“ unterstützen. Die entsprechende „uneingeschränkte Solidarität“ mit Kiew würde freilich den Sieg garantieren. Westliche Moral, Lebensweise, Wirtschaft und Armeen sind dem in Richtung Feudalismus zurück marschierenden russischen System noch allemal überlegen.

Schließlich handelte es sich beim Gegner um einen Koloss auf tönernen Füßen — einen mit inkompetenten, rückständigem Militär und demotivierten Soldaten. Ein Gegner, der sinnlos Menschen verheizen würde, nur um in seinem imperialen Wahn Gebiete im Westen zu erobern. Unser System ist besser, wir sind besser. Daher gewinnen wir, müssen wir gewinnen. Gänge doch mit uns das Gute unter. Nichts anderes erzählen uns Politiker, Medien und… Experten.

Ähnlich muss es in den letzten Tagen des Dritten Reiches aus dem Führerbunker geschallt haben.

Spieglein, Spieglein an der Wand…

Was also prognostizierten von den Medien gebauchpinselte „Militärexperten“ Ende März 2023 für den Herbst des Jahres und wie sieht die Welt ein halbes Jahr später aus?

Die glaubwürdigen Quellen des Marcus Keupp

Die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit. Damit zu einem praktischen Beispiel, bei dem sich „Expertenwissen“ in Richtung Idiotie bewegt. Es sei denn, der Informant manipuliert wissend seine Konsumenten. Der Militärökonom Keupp — eine Begrifflichkeit, die mich wiederholt an den Gesundheitsökonomen Lauterbach erinnert — gab im April 2023 freimütig und wiederholt Prognosen ab:

„Experte sieht ‚Desaster‘: Keupp erwartet Putins Niederlage im Oktober

Im Interview mit ZDFheute live zeichnet Militärexperte Keupp ein desaströses Bild der russischen Armee nach. Er rechnet mit einem Sieg der Ukraine im Oktober. Die Abnutzung der russischen Armee sei enorm. Zudem erwartet Keupp künftig noch größere Verluste Russlands. Hier spielen auch westliche Waffenlieferungen an die Ukraine eine Rolle.“ (3)

Beachten wir, dass Keupp von „Putins Niederlage“ sprach. Bereits das ist ein wichtiger Hinweis auf die Befindlichkeiten des „Analysten“. Zudem erfuhren wir:

„10.000 schwere Waffensysteme hat Russland bald verloren. […] Es ist eine Abnutzungsfrage, die Russland schlichtweg nicht durchhalten kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihnen [Russlands Streitkräften] die Reserven ausgehen.“ (3i)

Dabei berief sich Keupp auf „konservative Schätzungen“ einer „unabhängigen Plattform“. Diese nennt sich Oryx und hat ihren Sitz in den Niederlanden. Über ein Impressum verfügt sie nicht. Die einzigen Informatioen, die Oryx über sich auf seiner Webseite preis gibt, sehen so aus (b1):

Oryx, Kontaktseite; Bildschirmfoto; https://www.oryxspioenkop.com/p/contact.html; 23.11.2023

Für den „Experten“ Keupp, gleichzeitig Wissenschaflter an einer renommierten akademischen Einrichtung der Schweiz, ist das kein Grund, an der Glaubwürdigkeit von Oryx zu zweifeln. Deren Gründer verdingten sich zuvor bei der „unabhängigen, investigativen“ Plattform Bellingcat. So wie Oryx hat auch Bellingcat einen Sitz in den Niederlanden. Bellingcat ist so unabhängig, dass es sich von der Europäischen Union, der Open Society Foundation des George Soros und dem US-regierungsnahen NED, dem National Endowment for Democracy, finanzieren ließ oder lässt (4, 5).

Ja, und bei Bellingcat lässt sich auch etwas das Geheimnis um die Wirkungsweise der Zitierkartelle lüften. Denn auch die Massenmedien bezahlen Bellingcat für die beauftragten „investigativen Ergebnisse“ zur Befüllung des Informationsraumes (6). Dieser Informationsraum wurde zum Zweck aufgespannt, passende, manipulative, emotional auf den Konsumenten einwirkende Geschichten zu platzieren. Geschichten, die das Denken und Handeln „kleiner“ und „großer“ Leute lenken sollen. Bellingcat lieferte und die Massenmedien verarbeiteten es in ihren Nachrichten: Informationen nach denen sich die Menschen richten mögen (7 bis 11).

Zitierkartelle bedienen sich bestimmter Quellen, die durch ständige Nutzung und die Qualifizierung als unabhängig und neutral in den Köpfen der Menschen als glaubwürdig umgedeutet werden. Dabei verfügt Oryx nicht einmal über ein Impressum und seine Methoden zur Erfassung von Kriegsschäden sind, gelinde gesagt, unzureichend.

Wenn dann noch hochrangige (ehemalige) Mitglieder der dezent im Hintergrund für die „unabhängigen Plattformen“ wirkenden Nachrichtendienste in das Zitierkartell aufgenommen werden, ist die Farce perfekt. Der gefallene US-General und ehemalige CIA-Chef David Petraeus (12) lobte Oryx über den grünen Klee (Hervorhebungen durch Autor):

„Im Zeitalter von Open-Source-Medien und -Geheimdiensten gibt es eine Website, die tatsächlich absolut bestätigte, verifizierte Zerstörungen von beispielsweise Panzern und Schützenpanzern aufzeichnet. (…) Dies wird durch Fotos bestätigt, mit Metadaten, so dass man sicher sein kann, dass man nicht doppelt zählt, usw.“ (13)

„Bestätigt“ ist eine weitere Begrifflichkeit, die von den Gestaltern der zu veröffentlichenden Meinung gern in den Mund genommen wird, um die Illusion von Glaubwürdigkeit zu erschaffen und zu verstärken. „Bestätigte Fälle“ sind inzwischen allgemein geläufig, um die Illusion einer Pandemie aufrecht zu erhalten — und das bis zum heutigen Tag (14).

Oryx-Mitgründer Joost Oliemans hat auch für Janes gearbeitet, eine weitere, im Jahre 2021 gegründete, britische „Open Source Plattform“, die mit Beratern aus US-Geheimdiensten bestückt ist (15). Es müffelt nur so von westlichen Nachrichtendiensten, wenn man sich mit „unabhängigen Plattformen“ wie Bellingcat, Janes oder Oryx befasst. Doch eine grundlegende Aufgabe von Nachrichtendiensten besteht nun einmal darin, Nachrichten zu produzieren und diese über ein Netz von medialen Plattformen — neuartigen wie etablierten — in den Informationsraum zu lancieren.

Der Militärökonom Marcus Keupp hatte also als DIE Quelle für seine These eines russischen Zusammenbruchs im Herbst 2023 eine völlig unglaubwürdige Quelle, nämlich Oryx herangezogen und mit dieser den Informationsraum zum wiederholten Male gefüttert. Und das, ohne jemals mehr als Banalitäten über die Quelle geliefert zu haben (16). Wiederholung ist gut im Informationskrieg. Erst Wiederholung manifestiert eine Simulation als vermeintliche Wahrheit im emotionalen Gehirn.

Die flexiblen Simulationen des Marcus Keupp

In der Simulation ist der westliche Sieg über die „russischen Eroberer“ unvermeidlich. Wer jedoch selbst nicht mehr in der Lage ist, die propagierte Simulation von der Wahrheit zu unterscheiden, lässt sich dann auch zu hahnebüchenen Prognosen wie dieser hinreißen:

„Das heisst, wir können für Mitte April eine ukrainische Gegenoffensive mit westlichen Panzern erwarten. […] Die Ukraine wird vermutlich von Saporischja via Melitopol an die Schwarzmeerküste vorstoßen und so die Front in zwei Teile spalten.“ (16i)

Damit hatte der Vorzeigestratege aber noch lange nicht sein Pulver verschossen:

„In der Frühjahrsoffensive werden wir Bilder von westlichen Leopard-2- und Challenger-2-Panzern sehen, die deutlich weiter als russische Panzer schießen und diese daher aus der Ferne eliminieren können. Wenn Sie den Technologieboost bei den Ukrainern sowie die russische Verlustrate und die sich erschöpfenden Ressourcen zusammenrechnen, dann ist eigentlich gar kein anderer Verlauf denkbar als eine russische Niederlage.“ (16ii)

Hat Marcus Keupp tatsächlich eine blasse Ahnung davon, wie der Krieg in der Ukraine wirklich abläuft? Das darf bezweifelt werden. Oder aber er lügt. Das aber ist ein eher theoretischer Gedanke. Denn davon gehe ich nicht aus! Doch die Fakten über den Stand der militärischen Auseinandersetzungen dort waren, bei aller Propaganda, trotzdem prinzipiell immer zugänglich, auch für Keupp.

Die oben zitierten, phantasievollen Behauptungen des Marcus Keupp stammen aus den letzten Märztagen des Jahres. Der April und auch der Mai gingen ins Land, eine Frühjahrsoffensive fand nicht statt und Panzerschlachten schon gar nicht. Dass die Geschichte sich so entwickeln würde — und eben nicht nach der Keuppschen Simulation —, war offensichtlich. Dies zu erkennen, bedurfte keines Expertenwissens. Es bedurfte nicht einmal überdurchschnittlicher Intelligenz. Ein wacher Blick und Unvoreingenommenheit war für solch Erkenntnis freilich unverzichtbar. Davon war und ist ein Marcus Keupp freilich weit entfernt. Seine eigenen Prophezeiungen geschmeidig verdrängend, schwadronierte er nun, im Juni 2023, gegenüber dem ZDF:

„Ich denke, wir sind schon im Stadium der Offensive. Die Ukraine versucht, an verschiedenen Punkten vorzustoßen und quasi die russischen Verteidigungsstellen anzutesten, wo der Widerstand am geringsten ist. Ich muss auch warnen, wenn das Publikum erwartet, da kommt jetzt ein großer romantischer Durchbruch wie im Zweiten Weltkrieg, das wird nicht passieren.“ (17)

Ach, doch schon, vielleicht? Wie jetzt — nichts mehr mit Schwarzmeerküste? Es wird versucht, „anzutesten, wo der Widerstand am geringsten ist“? Ist das jetzt Satire? Das Eine ist, wie Keupp sich seine Wahrheit neu schmiedete, das Andere, wie ein öffentlich-rechtlicher Sender diese neue Wahrheit ohne jedes Hinterfragen weiter reichte. Das Problem ist: Man musste den Sender dazu nicht einmal instruieren, der machte das ganz von selbst. Da greifen Automatismen. Hätte ein Journalist, also ein Journalist im ureigenen Sinne der Berufsehre, die sich Journalisten doch wohl zugestehen sollten, dazu nicht mal nachhaken können?

Zu früheren Stellungnahmen völlig konträe Aussagen wie die gerade zitierte werden von Journalisten (Journalisten?) einfach stehen gelassen. Kein nachfragen, geschweige denn Kritik, taucht auf. Noch ein wenig Schwurbelei eines, ho ho!, Militärökonomen und herumgereichten „Experten“?

„Wir werden jetzt für längere Zeit kleinere dezentrale Vorstöße sehen, nicht nur, weil es zur ukrainischen Offensive passt, sondern, weil diese der Ukraine ein sehr viel deutlicheres Bild geben, wie es wirklich bestellt ist um russische Gräben: Sind sie wirklich alle bemannt und befestigt oder stehen sie nur so in der Landschaft? Das Ganze zwingt die Russen zu schwierigen Entscheidungen, denn sie wissen nicht, ist das jetzt der Durchbruch? Sollen wir jetzt Truppen dahin verlagern oder nicht?“ (17i)

Gestatten Sie mir ein wenig mehr Bissigkeit in der Ironie: Man (Keupp) macht sich jetzt also ein „viel deutlicheres Bild, wie es wirklich bestellt ist um russische Gräben“? Monate zuvor hatte der Militärökonom sein Publikum noch folgendermaßen aufgeklärt:

„Die Kriegsanalytik hat sich radikal verändert. Bisher hatten wir Militärexperten, die etwas behauptet haben. Oder wir hatten Formeln oder theoretische Modelle, mit denen etwas berechnet worden ist. Heute sehen Sie fast in Echtzeit, was an der Front passiert.“ (16iii)

Alles sah er praktisch in Echtzeit, vor allem die Schlachtfelder der Zukunft. So prognostizierte Keupp auch die künftigen Panzerschlachten bei Saporoschje. Aber die Gegenwart in Echtzeit hatte er verdrängt. Auch wie westliche Panzer, ganz ohne Panzerschlacht, in Rauch aufgingen (18, 19). Die Realität der Gegenwart war ihm unangenehm. Sie störte nur seine selbstgefällig vertretene Simulation, die ihm regelmäßig so bereitwillig von den Gleichstrommedien abgekauft wurde.

Von Panzerschlachten zum „Antesten“

Er hatte monatelang verdrängt, auf welche Art und Weise die russischen Streitkräfte sich auf das Offensichtliche sehr sorgfältig vorbereiteten. Offensichtlich, weil Jedem, der sich für die Realität tatsächlich interessierte, auch deutlich erkennbar. Sorgfältig in dem Sinne, bei minimierten eigenen Verlusten dem Gegner das Maximum an Verlusten beizubringen. Panzerschlachten waren nicht Teil der russischen Strategie. Aber natürlich waren sie Teil westlicher Simulationen.

Marcus Keupp hat bis heute nicht verstanden, dass der Zweck der russischen Militäroperation in der Ukraine zuallererst darin besteht, den Gegner seiner militärischen Fähigkeiten weitgehend zu berauben. Dazu muss man keine eigenen Panzerarmeen auffahren, um Schlachten des Zweiten Weltkrieges, wie die 1943 am Kursker Bogen, zu reinszenieren.

Es ist brisant, dass die westlichen Mächte, insbesondere die USA und Großbritannien, die Ukraine in die „Frühjahrsoffensive“ im Sommer 2023 trieben — und damit in das Verderben. Weil sie über ihre von der NATO in der Ukraine eingesetzten Aufklärungssysteme in Echtzeit beobachten konnten, wie Russland sich auf diese Offensive vorbereitete (20 bis 23). Oder aber diese Systeme funktionieren inzwischen nicht mehr ausreichend. Keupp hatte im Mai gegenüber dem Deutschlandfunk getönt, dass alle russischen Stellungen im ersten „Open-Source-Krieg der Geschichte“ bekannt seien (24).

Erinnern wir uns also daran, dass Keupp, zwei Monate nach seinen kühnen Durchbruchsbehauptungen in Richtung Krim frank und frei — und zwar im Juni — behauptete:

Die Ukraine versucht, an verschiedenen Punkten vorzustoßen und quasi die russischen Verteidigungsstellen anzutesten, wo der Widerstand am geringsten ist.“ (17ii)

Das ist substanzlose Schwurbelei. Wenn dem wirklich so war, dann konnte von einer Offensive, einer strategischen Operation, keine Rede sein. Oder aber diese strategische Operation war von Beginn an zum Scheitern verurteilt und führte zu nichts weiter als Zehntausenden toter, ukrainischer Soldaten und Unmengen zerstörten Kriegsmaterials. So etwas nennt Keupp „antesten“. Aber er wollte die Wahrheit nicht wahrhaben.  Auch zwei Monate später nicht, als er einer begierig wie inkompetent lauschenden ZDF-Redakteurin den Sermon doch tatsächlich erneut auftischte, einschließlich seiner angeblich vertrauenswürdigen Oryx-Quellen (siehe auch weiter oben):

„Man muss sich im Klaren sein, die ukrainische Gegenoffensive ist ja immer noch in der Phase, wo man quasi die Befestigungen der Russen so ein bisschen antestet.“ (25)

Das ist Lauterbachsches Niveau, nur dass Keupp eben kein Gesundheitsökonom sondern Militärökonom ist. Kein wirklicher Militärexperte tischt dem Gegenüber so einen Unsinn auf, dass eine Offensive, eine strategische Bewegung auf dem Schlachtfeld, zwei Monate lang, verbunden mit ungeheuren eigenen Verlusten, den Gegner „antestet“. Keupp aber tut es.

Der September kam und Keupp durfte sich erneut als „Experte“ für öffentlich-rechtliche Sender entfalten. Es ist ein Trauerspiel, wie es dem ZDF über Monate hinweg nicht in den Sinn kam, den Propheten einmal auf den Wahrheitsgehalt seiner Vorhersagen, nun ja, „anzutesten“. Statt dessen schluckt er klaglos die Wiederholung und Ausweitung von Keupps Schwurbelei. Es ist auch faszinierend, zu beobachten, wie standhaft Keupp seine Position verteidigt, in dem er die Wahrheit versucht, auf recht abenteuerliche Art und Weise in sein Narrativ einzuweben.

„Die Ukraine hat einen bedeutenden Durchbruch durch die russischen Linien, […] durch die erste russische Verteidigungslinie geschafft. Und das ist etwas bedeutendes aus einer größeren Perspektive.“ (26)

Zu diesem „bedeutenden Durchbruch“, der keiner ist, kommen wir gleich zurück. Danach malt sich Keupp die Welt, wie sie ihm gefällt. Denn das Ergebnis der „Offensive“ der ukrainischen Armee — gerade im Abschnitt Rabotinje (im Süden Richtung Asowsches Meer) — ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein Debakel.

Aber er gaukelt sich und den Zuschauern vor, die ukrainischen Streitkräfte könnten aus dem Vollen schöpfen und eine Abnutzungsschlacht gegen das russische Militär gewinnen. Das ist völlig realitätsfremd. Jeder halbwegs bewanderte Militärexperte weiß, dass die Gewinnchancen für solch ein Vorhaben, nur dann gegeben sind, wenn eine vielfache eigene Überlegenheit an Menschen und Material gesichert ist. Wovon die Ukraine weit, ganz weit entfernt ist. Aber Keupp will glauben — an den Sieg der Ukraine, der auch sein ganz eigener Sieg ist, wie wir im Weiteren noch erfahren werden:

„Deren Verbände [der 56. russischen Armee] sind nicht mehr voll kampffähig. […] Sie sind vielleicht noch bei 50 Prozent Kampffähigkeit.“ (26i)

Oder auch nicht.

Das obige Bild zeigt den praktisch seit August unveränderten „Einbruch“ ukrainischer Truppen in Richtung der russischen Verteidigungslinien, etwa zehn Kilometer breit und zwölf Kilometer tief. Man kann es auch anders sehen. Der oben zu sehende Einbruch ist gleichzeitig ein Kessel. Die Kessel von Artjemowsk, Rabotinje und Awdejewka wirk(t)en wie Honigtöpfe für die ukrainische Armee und in diese Kessel wurden große ukrainische Einheiten von ihrer Führung hinein geworfen, um dann dort aufgerieben zu werden. Die personellen Verluste sind eine einzige Tragödie, die materiellen immens.

Abnutzungskrieg

Aber Keupp spricht davon nicht, er sieht durch seine Brille nur eine „Abnutzung“ russischer Truppen. Das resultiert primär nicht etwa aus den Quellen, die er verwendet, sondern auf seiner durch die verinnerlichte Ideologie gegebenen Beschränktheit. Und die Schwester dieser Beschränktheit nennt sich Arroganz. Daraus resultiert auch der verbohrte moralische, überhebliche Blick auf die Überlegenheit westlicher Demokratien und Waffen. Keupp und nicht nur Keupp zufolge ist die russische Armee samt ihrer Führung inkompetent. Soldaten werden sinnlos verheizt, um kleine Gebiete zu erobern. Das Material geht aus und das ganze Land steht kurz vor dem Zusammenbruch.

Und das ist schlicht Nonsens.

Auf dieser Basis baut Keupp aber seine Simulationen auf!

Wie geht der Mann nun mit dem Widerspruch zwischen Simulation und Wirklichkeit um?

Die „Abnutzung“ der russischen Armee müsste ja nun irgendwann, nach vier Monaten der ukrainischen Offensive, einschließlich vier Monaten „antesten“, doch so bedeutend sein, dass der vom „Experten“ herbeigeredete „Durchbruch“ dann wohl fällig, ja überfällig wäre. Gehen wir also einfach einen Monat weiter. Es ist nun Anfang Oktober 2023. Putins Sturz, so die Prophezeiung des Militärökonomen vom März, steht angeblich unmittelbar bevor. Aber was lesen wir?

„Wir sind im Moment in einer Abnutzungsphase. Eben weil sich die Ukraine durch die russischen Minenfelder durcharbeiten muss, kommt sie natürlich, in Quadratkilometern Gelände gemessen, relativ langsam voran.“ (27)

Es ist im Grunde unglaublich, was Marcus Keupp da zum besten gibt. Am 6. Oktober tat Keupp so, als wäre auf dem Schlachtfeld bei Rabotinje eine neue operative Situation entstanden. Dabei hatten selbst westliche Medien bereits ein viertel Jahr zuvor ausführlich von diesem Problem für die ukrainischen Streitkräfte berichtet (18i).

Es ist so: Bei Rabotinje arbeiteten sich ukrainische Truppen Anfang Oktober seit bereits vier Monaten durch russische Minenfelder. Und es war im Vorfeld völlig klar, welche Aufgabe da auf sie zukommen würde. Schließlich hatte ja Keupp die an seinen Lippen hängenden Konsumenten vor Monaten aufgeklärt, dass man quasi in Echtzeit über die erforderlichen Informationen vom Gefechtsfeld verfügen würde.

Das ist aber nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass ukrainisches Militär auf praktisch ein und derselben Fläche von 120 Quadratkilometern seit vier Monaten Minen räumt. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man wissen, dass die russischen Streitkräfte in der Lage sind, diese Minenteppiche über Nacht neu auszulegen, besser gesagt auszustreuen. Dafür verfügen sie über ein großes Reservoir von Minenwerfern. Was bei Rabotinje seit Monaten vonstatten geht, ist Folgendes:

Die ukrainische Armee stößt mit großen oder kleinen Verbänden, mal mit schweren Waffen, mal mit Infanterie in das Gebiet vor. Sie muss trassenartig Minen beseitigen, was sie zu einem hervorragend zu treffenden Ziel macht. Aber ohne das können die Fahrzeuge und Soldaten nicht weiter zur Kontaktlinie vordringen. Die Kontaktlinie ist die erste von drei russischen Verteidigungslinien. Die Minenfelder liegen in der grauen Zone, sozusagen im Niemandsland. Für die Ukrainer ist das ein mörderisches Unterfangen. Erreicht schließlich ein Bruchteil der Offensiveinheiten die Nähe der Kontaktlinie, wird er von den russischen Truppen aufgerieben. In der darauf folgenden Nacht, innerhalb von sechs bis zwölf Stunden, wird das Gebiet erneut vermint und das tödliche Spiel kann von Neuem beginnen (28).

Das weiß Marcus Keupp nicht?

Keupp redet von „Abnutzung“ russischer Truppen. Das ist nicht nur fachlich Müll. Es ist vor allem verantwortungslos. Denn der Mann redet dem Krieg das Wort und redet dieses Abschlachten ukrainischer Soldaten auch noch als Erfolg schön.

Noch sonnt sich Keupp im Scheinwerfer der Medien. Aber nicht er ist es, der die Befüllung des Informationsraumes steuert. Und die Medien-Verantwortlichen haben einen starken Sensor dafür, wann eine Veränderung in der Berichterstattung „droht“. Dafür werden sie — lassen wir offen, von wem — entsprechend „gefüttert“. Am 4. November las ich einen bemerkenswerten Passus innerhalb eines ZDF-Beitrages (Hervorhebung durch Autor):

„Was Saluschnyj [Oberkommandierender der ukrainischen Streitkräfte] nicht ausführt, aber implizit anklingen lässt, ist, dass die ins Stocken geratene Gegenoffensive bedeutet, dass nicht nur die ukrainischen Militärplaner den Zustand der russischen Verteidigung und der ukrainischen Armee nicht richtig eingeschätzt haben. Auch die westlichen Militärplaner und Nachrichtendienste haben die Ukraine mit den für eine nüchterne Einschätzung erforderlichen Informationen nicht versorgt. (29)

Warum nun Keupp bei seinen spekulativen Analysen ständig so spektakulär daneben liegt, hat einen schwerwiegenden Grund, der nicht im Fachlichen zu suchen ist.

Weltanschauungskrieger

Keupp mag sich als Wissenschaftler verkaufen, aber als ein solcher praktiziert er in der Öffentlichkeit nie und nimmer. Er kann es nicht. Weil er ein Ideologe, ein Weltanschauungskrieger ist. Das ist der Originalton von Marcus Keupp und nicht etwa der des verteufelten ideologischen Gegners:

„Was hier stattfindet, ist nicht einfach nur ein Krieg […]. Es ist vor allem auch ein Krieg der Weltanschauungen.“ (30)

Wir sind nah am Vokabular, mit dem das Dritte Reich seinen Überfall auf die Sowjetunion moralisch rechtfertigte: „als Überlebenskampf der Weltanschauungen“ (31). So entblättern sich Ideologen, heiße Schreibtischkrieger, die sich selbst zum „objektiven Analysten“ glorifizieren, als abgehoben und verbohrt. Und Keupp nimmt aktiv an diesem Krieg der Weltanschauungen teil:

„Wir haben eine historische Stunde, in der Sie nicht abseitsstehen können. Entweder stellen Sie sich diesem Regime [in Russland] entgegen, oder Sie werden zum Kollaborateur desselben.“ (16ii)

Nun denn, Herr Keupp, der Ukraine gehen derzeit die Soldaten aus. Ich denke, man wird Ihnen den Dienst an der Waffe für den Kampf gegen das „Regime“ in Russland sicher nicht verwehren.

650.000 und damit ein Teil jener ukrainischen Männer im wehrpflichtigen Alter, die Ihren Weltanschauungskrieg, Herr Keupp, nicht mit führen wollen, haben inzwischen die Ukraine verlassen (32). Es ist eben nicht deren Krieg, sonder der Ihre!

Ideologie führt zu Arroganz und gleichzeitig zu Schmalspurigkeit, zu Blindheit. Noch ein, seinem Selbstverständnis nach objektiver, faktenbasierter Keupp? Bitteschön:

„Ich toleriere nicht, dass dieses Imperium weiterhin seine Macht in den Westen, den Kaukasus, nach Zentralasien projiziert und dass die Macht wieder über das Recht regieren soll. Ich werde meine analytischen Fähigkeiten dafür einsetzen, diesen Krieg möglichst objektiv und faktenbasiert zu begleiten. Und das bedeutet insbesondere, die imperialistische Politik des Kreml zu thematisieren, denn diese zielt letztlich gegen den Westen.“ (16iv)

Vergleiche zum Dritten Reich sind bei Keupp angebracht? Unbedingt! Der Mann gibt, sich zum Helden stilisierend, seine Paranoia preis und außerdem etwas, was gemeinhin als Rassismus bezeichnet wird:

„Sollte mir etwas passieren, wäre dies die Krönung eines Analystenlebens. Glauben Sie nicht, die Schweiz sei ein sicherer Raum. Genf ist voll mit russischen Agenten, genauso wie auch Wien und Berlin. Offiziell sind das natürlich «Kulturattachés». Ich kann es nicht oft genug betonen: Das Einzige, was die Russen respektieren, ist Stärke. Also können Sie entweder kollaborieren — auch durch stillschweigende Duldung — oder sich widersetzen.“ (16v)

Der Mann träumt tatsächlich vom Heldentod und glorifiziert sich dabei zum Analysten der besonderen Art.

Noch einmal: Keupp kann einfach kein wirklicher Experte, im Sinne wissenschaftlicher, weitgehend unvoreingenommener Betrachtung von Ereignissen sein. Weil er extrem parteiisch und in dieser Verfasstheit schlicht unfähig ist, die Schwarz-Weiß-Brille abzusetzen. Und weil das so ist, rutschen auch plumpe Propagandalügen aus des „Experten“ Munde gefällig heraus:

„Man muss dazu wissen: [Die 76. Luftlandedivision], das ist eine Eliteeinheit und es ist dieselbe Eliteeinheit, die damals die Kriegsverbrechen in Butscha begangen hat.“ (26ii)

Keupp muss das nicht mit Quellen belegen. Er hat auch keine. Was er und jeder andere auch wissen können, ist, dass im März 2022 tatsächlich die 76. Luftlandedivision der russischen Streitkräfte nördlich von Kiew operierte. Mehr weiß er nicht. Denn wie gesagt, er hat für Kriegsverbrechen dieser Einheit keinerlei seriöse Quellen anzubieten. Keine Quellen, die eine unabhängige, unvoreingenommene Untersuchung der Vorfälle von Butscha Ende März 2022 abbilden könnten. Keupp betreibt also Propaganda. Er kann nicht anders. Er ist vollständig in diesen Krieg verstrickt. Und so strickt er folgerichtig wie systematisch an seiner Inkompetenz.

Wurde Keupp auf seine windigen Prognosen — von denen es noch reichlich mehr gibt (33) — je festgenagelt? Oft genug war er ja beim entsprechenden Sender zu Gast. Aber der Scharlatan durfte praktisch ungeschoren weiter als Experte auftreten. Und das erinnert mich frappierend an die PLandemie, an Karl Lauterbach, gern auch Christian Drosten. Es ist doch immer das selbe Prinzip. Es ist bei Keupp nicht anders als bei Lauterbach und Drosten: Sie werden nicht etwa durch die Medienlandschaft geschleift, weil sie Experten sondern weil sie hervorragende Propagandisten sind. Lauterbach wie Drosten waren und sind die idealen PLandemie-Einpeitscher, Keupp der für den Krieg gegen Russland.

Einen Versuch habe ich letztlich entdeckt, Keupp auf seine Auslassungen „anzutesten“. Es war Katja Keppner von der ARD-Tagesschau, die am 25. September fragte:

„Sie haben bereits im Frühjahr für den Herbst eine entscheidende Wende und gar ein Ende des Krieges prognostiziert. Bleiben sie dabei?“ (34)

Die Antwort war dann diese:

„Im März hatte ich gesagt, dass der Krieg im Oktober strategisch verloren sein wird für Russland. Damit war nicht gemeint, dass die Kampfhandlungen aufhören, sondern dass Russland in einer Lage ist, wo es logistisch nicht mehr leistungsfähig ist und vor der Wahl steht: entweder es zieht die Truppen zurück oder es wird langsam aufgerieben.“ (34i)

Die Realität im Ukraine-Konflikt Ende des Jahres 2023 sieht anders aus. Sie sah übrigens auch am 25. September, als Keupp die obige Antwort gab, anders aus.

Inzwischen ist die ukrainische Armee zu mehr als lokal eng begrenzten, taktischen Offensivaktionen nicht mehr imstande, während sie von Russlands Streitkräften an diversen Stellen der Frontlinie massiv unter Druck gesetzt wird. Das ficht einen Keupp nicht. Wie ein bockiges Kind beansprucht er „seinen“ Sieg. Am 9. November — vergleichen Sie das, liebe Leser mit dem ZDF-Beitrag vom 4. November (siehe weiter oben) — tönte er im ZDF:

„Der Krieg ist für Russland strategisch verloren. Russland hat im Moment keine Möglichkeit mehr, an der gesamten Front die Initiative zu gewinnen.“ (35)

Das ist nur noch peinlich. Und Keupp steht mit seiner bellizistischen Haltung des Weltanschauungskriegers, der sich in den Massenmedien austoben darf, beileibe nicht allein (36).

Marcus Keupp und wir

Aber wie ist das möglich? Wie kann es sein, dass die Lauterbachs, Drostens und Keupps so wirkmächtig auftreten?

Wir haben hier ein psychologisches Problem vorliegen, dass sich keinesfalls auf die drei oben Genannten beschränkt. Es ist ein Kapitel Massenpsychologie, bei dem sich fatale Denk- und Handlungsmuster in den vorliegenden systemischen Strukturen durch sich selbst erhalten und stärken. Wir leben in traumatisierten Gesellschaften, in denen sich auch weniger verletzte Menschen durch die am stärksten Traumatisierten regieren, führen und lenken lassen. So gesehen ist es auch zu kurz gesprungen, Keupp und Co. als Schuldige anzuprangern.

Weil das allzu bequem ist und von der Tatsache ablenkt, dass so ziemlich alle im System ihre Rolle spielen. Gewissermaßen tun sie das sogar freiwillig. Sie manipulieren sich auch gegenseitig „freiwillig“. Im Grunde nehmen alle am Spiel teil. Auch dann, wenn sie innerhalb des Spieles in Dissonanz geraten, zum Beispiel weil sie Unrecht erfahren haben. Dann versucht man Regeln im Spiel zu ändern, statt aus dem Spiel auszusteigen. Man ist eben doch nicht frei. Man ist im Spiel, in der Matrix gefangen.

Und es fehlt die Kraft, der Wille, die Bereitschaft, den unbequemen Blick von außen auf diese Matrix zu riskieren. Gewohntes, vermeintlich Halt und Sicherheit Gebendes, könnte zusammenbrechen. Daher delegieren wir. Wir tun das unbewusst. Aber wir tun es. Keupp findet seinen Halt über die überbordende Wahrnehmung und Wertschätzung, die seinem propagierten Unsinn entgegengebracht wird. Er braucht aber auf jeden Fall das Publikum. So wie Lauterbach und Drosten. Gleich den Letztgenannten nimmt er seinen Mitspielern dankenswerter Weise das Denken ab. Er liefert holzschnittartige Bilder. Das ist zwar fernab der Realität, doch prägt sich die Einfachheit viel leichter ein.

Aber wenn das Publikum fehlt, richten diese drei auch keinen Schaden an. Sie hängen in der Luft, ihre Propaganda verpufft. Und damit auch der Wille, diese weiter zu verbreiten. Denn eben die vermeintliche Wertschätzung durch das Publikum hat bis dahin ihre narzisstische Seite angetrieben. Ohne Beifall versiegt der Ehrgeiz. Ohne Beifall versiegt freilich auch das Gefühl der bisher Klatschenden, sich im Licht des Beklatschten sonnen zu können. Aber man erspart es sich nun, unreflektiert — und damit ohne großen eigenen, geistigen Aufwand — die vermeintlichen Weisheiten der Koryphäe weitergeben zu müssen.

Diese Herausforderung betrifft übrigens nicht nur die Medien. Sie betrifft uns alle.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

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(1) ETH zürich; https://ethz.ch/de/die-eth-zuerich/portraet/geschichte.html; abgerufen: 10.09.2023

(2) ETH zürich; Marcus Keupp; https://ethz.ch/de/utils/search.MTk0MDI5.html; abgerufen: 10.09.2023

(3, 3i) 03.04.2023; ZDF; Tim-Julian Schneider; Keupp erwartet Putins Niederlage im Oktober; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/krieg-verlauf-ende-ukraine-niederlage-russland-100.html

(4) Bellingcat; Annual Report 2021; https://www.bellingcat.com/app/uploads/2022/05/Bellingcat-Annual-Report-2021.pdf; S. 33; abgerufen: 23.11.2023

(5) Bellingcat; Annual Report 2019; https://www.bellingcat.com/app/uploads/2022/02/Bellingcat-Annual-Report-2019p.pdf; S. 46; abgerufen: 23.11.2023

(6) Bellingcat; Annual Report 2022; https://www.bellingcat.com/app/uploads/2023/06/Bellingcat-Annual-Report-2022_com.pdf; S. 32; abgerufen: 23.11.2023

(7) 11.04.2022; BBC News; Ukraine conflict: Why is Russia loosing so many tanks?; https://www.bbc.com/news/world-61021388

(8) 05.04.2022; Forbes; Michael Peck; Russia is Exaggeterating Ukraine’s Military Losses; https://www.forbes.com/sites/michaelpeck/2022/04/05/russia-is-exaggerating-ukraines-military-losses/

(9) 14.02.2023; ARD-Tagesschau, Faktenfinder; Pascal Siggelkow; Angaben zu Verlusten „gänzlich unglaubwürdig“; https://www.tagesschau.de/faktenfinder/russland-ukraine-verluste-grafik-101.html

(10) 09.02.2023; CNN; Bred Lendon; Russia may have lost up to half of its operational tank fleet in Ukraine, monitoring group says; https://edition.cnn.com/2023/02/09/europe/1000-russian-tanks-destroyed-ukraine-war-intl-hnk-ml/index.html

(11) 14.02.2023; ZDF; Oliver Klein; Russische Propaganda zu Verlusten in der Ukraine; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/verluste-propaganda-ukraine-krieg-russland-100.html

(12) 23.04.2015; BBC News; David Petraeus and the fall of a general; https://www.bbc.com/news/world-us-canada-20276786

(13) 07.06.2023; Deutsche Welle, News; General Petraeus: The spring offensive will be ‚much more successful‘ than many think; https://www.youtube.com/watch?v=L3qCYIPaPqU&t=236s; Video ist werbeverseucht

(14) 08.11.2023; ARD-Tagesschau; Die Corona-Lage im Überblick; https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-karte-deutschland-101.html

(15) Janes; Advisory Board; https://www.janes.com/about-janes/our-strategic-advisory-board; abgerufen: 23.11.2023

(16, 16i) 27.03.2023; Neue Zürcher Zeitung; Marcus Keupp: «Deswegen sage ich: Russland wird den Krieg im Oktober verloren haben»; https://www.nzz.ch/feuilleton/marcus-keupp-deswegen-sage-ich-russland-wird-den-krieg-im-oktober-verloren-haben-ld.1731488

(17, 17i) 15.06.2023; ZDF; Interview mit Marcus Keupp; „Die Logistik gewinnt am Ende den Krieg“; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/keupp-militaer-ukraine-krieg-russland-100.html

(18, 18i) 04.07.2023; Neue Zürcher Zeitung; Marco Seliger; Minenfelder und Helikopter — ukrainische Offensive kommt trotz westlichen Waffen nur langsam voran; https://www.nzz.ch/international/ukraine-hohe-verluste-an-deutschen-panzern-leopard-2-und-marder-ld.1744995

(19) 15.11.2023; Merkur; Leichte Beute: Putins Drohnen-Piloten knacken Leopard-Panzer; https://www.merkur.de/politik/piloten-finden-knackpunkt-leopard-panzer-wird-im-ukraine-krieg-zur-leichten-beute-putins-drohnen-92655200.html; Artikel hinter Werbeschranke

(20) Defense One; C4ISR: The Military’s Nervous System; https://www.defenseone.com/insights/cards/c4isr-military-nervous-system/; abgerufen: 10.03.2023

(21) THALES; C4ISR; https://www.thalesgroup.com/en/global/activities/defence/naval-forces/c4isr; abgerufen: 09.03.2023

(22) BAE Systems; C4ISR Systems; https://www.baesystems.com/en/productfamily/c4isr-systems; abgerufen: 09.03.2023

(23) 12.05.2016; NATO; NITEC16: Building resilience through secure C4ISR; https://www.ncia.nato.int/about-us/newsroom/nitec16-building-resilience-through-secure-c4isr.html

(24) 04.05.2023; Deutschlandfunk; Tobias Armbrüster; Militärexperte: Die Frühjahrsoffensive hat längst begonnen; https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-wann-kommt-fruehjahrsoffensive-interview-mit-marcus-keupp-eth-zuerich-dlf-ab231e15-100.html

(25) 09.08.2023; ZDF; Militärexperte: Entscheidende Phase im Herbst; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gegenoffensive-logistik-strategisch-ukraine-krieg-russland-100.html

(26 bis 26ii) 01.09.2023; ZDF; Experte: „Gefährlicher Moment für die Russen“; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gegenoffensive-durchbruch-drohnen-angriffe-ukraine-krieg-russland-100.html

(27) 06.10.2023; ZDF; Experte: „Woche des russischen Blechhaufens“; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gegenoffensive-abnutzung-keupp-ukraine-krieg-russland-100.html?utm_source=pocket-newtab-de-de

(28) 09.10.2023; Top War; American military analysts report that the Russian Armed Forces have re-mined sections of the front in the Zaporozhye direction; https://en.topwar.ru/227698-amerikanskie-voennye-analitiki-soobschajut-o-povtornom-minirovanii-vs-rf-uchastkov-fronta-na-zaporozhskom-napravlenii.html

(29) 04.11.2023; ZDF; Christian Mölling, András Rácz; Was aus der ukrainischen Gegenoffensive wurde; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/gegenoffensive-scheitern-ukraine-krieg-russland-100.html

(30) 17.06.2022; Die Welt; Putins Krieg: Waffen — Was die Ukraine wirklich braucht; Interview mit Marcus Keupp; https://www.youtube.com/watch?v=_Nte6kd1Ncw

(31) 22.06.2021; Deutsche Welle; Ralf Bosen; 22. Juni 1941: Überfall auf die Sowjetunion; https://www.dw.com/de/vor-80-jahren-nazi-deutschland-greift-sowjetunion-an/a-57903120

(32) 24.11.2023; BBC News, Ukraine; Євростат порахував, що з України виїхали 650 тисяч чоловіків призовного віку; https://www.bbc.com/ukrainian/articles/cd1px4z922wo

(33) 19.02.2023; BR24; Dominic Possoch; Militär-Experte: Putins Ukraine-Strategie „hart am Selbstmord“; https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/militaer-experte-putins-ukraine-strategie-hart-am-selbstmord,TW7hge0

(34, 34i) 25.09.2023; ARD-Tagesschau; „Für Russland ein komplettes Desaster“; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/offensive-ukraine-100.html

(35) 09.11.2023; ZDF; Experte: Ukraine-Krieg in „Abnutzungsphase“; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/militaer-front-kaempfe-ukraine-krieg-russland-100.html

(36) 26.11.2023; ZDF; Verliert die Ukraine den Krieg, Herr Mölling?; https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/moelling-offensive-verhandlungen-ukraine-krieg-russland-100.html

(b1) Oryx, Militär, Geheimdienst, Kontaktseite; Bildschirmfoto; https://www.oryxspioenkop.com/p/contact.html; erstellt: 23.11.2023

(b2) Saporoschje-Front; Kessel von Rabotina; 23.09.2023; Quelle: Top War; https://en.topwar.ru/226712-na-juzhno-doneckom-napravlenii-vs-rf-zachischajut-posadki-vokrug-novodoneckogo-i-vernuli-chast-ranee-utrachennoj-territorii.html

(Titelbild) Panzer, Challenger 2; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/57/Challenger_2_Tank_MOD_45154624.jpg/1280px-Challenger_2_Tank_MOD_45154624.jpg; Originalquelle: http://www.defenceimagery.mod.uk/fotoweb/fwbin/download.dll/45153802.jpg; Lizenz: Open Government License 1.0 (https://nationalarchives.gov.uk/doc/open-government-licence/version/1/)

 

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