Greek Myths 14-16

Kapitel 14 – Die Geschichte von der kompromisslosen griechischen Regierung
Storytelling in der ARD-Griechenlandberichterstattung 2015 – was bisher geschah…
Vorwort: Storytelling – die Kunst, Geschichten zu erzählen
Kapitel 1 – Das Trojanische Pferd
Kapitel 2 – Über griechische Helden, Märchen und Mythen
Kapitel 3 – Was Orwell nicht wusste
Kapitel 4 – Die Konstruktion wünschenswerter Welten
Kapitel 5 – The Hidden Persuaders
Greek Myths 1-3
Greek Myths 4-6
Greek Myths 7-9
Greek Myths 10-13
Analytischer Teil: Es war einmal…
14 Die Geschichte von der kompromisslosen griechischen Regierung – das Scheitern der Verhandlungen vom 16. Februar 2015 (Teil III)
Fortsetzung: Tagesthemen vom 16.02.2015(Teil III)
Im Schaltgespräch über die Eurogruppensitzung bestätigt und konkretisiert Korrespondent Rolf-Dieter Krause schließlich die im vorangegangenen Beitrag von Christian Feld im O-Ton gezeigte Einschätzung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble:
„Griechenland hat sich offenbar gar nicht bewegt.“

Rolf-Dieter Krause: „Wenn man dem griechischen Finanzminister zugehört hat, ist das lauter Zeugs, das er auf keinen Fall unterschreiben will„.
Folgende Forderungen der Eurozone hatte der ARD-Korrespondent aufgezählt:
a) keine Reformen, die bisher stattgefunden haben, zurückzudrehen,
b) neue Maßnahmen nur dann zu ergreifen, wenn sie voll finanziert sind,
c) mit den Institutionen zusammenzuarbeiten, die ehemals Troika hießen,
d) die laufende Überprüfung abzuschließen,
e) die Verpflichtung, die Schulden an alle Gläubiger zurückzuzahlen.
Fakten und Analyse
Falschinformation:
Der Korrespondent leitet seine Aussage mit einer sprachlichen Wendung ein, welche die Authentizität der nun folgenden Information unterstreichen soll („Wenn man dem griechischen Finanzminister zugehört hat“). Seine Meldung aber, dass der griechische Finanzminister die aufgezählten Forderungen der Eurozone alle für „Zeug“ hielt, das er „auf keinen Fall unterschreiben“ wolle, ist nachweislich unwahr (Strohmann-Argument).
Das ergibt allein schon die Kenntnis der Brüsseler Pressekonferenz (s. Geschichte 12), deren Inhalt dem Brüssel-Korrespondenten bekannt war.
Auch in seinen der Eurogruppe unterbreiteten Vorschlägen vom 11. und 16. Februar 2015 hatte Yanis Varoufakis folgende Bedingungen für eine Verlängerung der Kreditvereinbarung zur Auszahlung der ausstehenden Kredit-Tranche angeboten [147] [148]:
a) Aufzählung aller vereinbarten Reformen, deren Umsetzung die griechische Regierung auch weiterhin vorantreiben wird, Nennung von strittigen Punkten (Höhe des Primärüberschusses). Ablehnung von rezessionsverursachenden Maßnahmen wie Rentenkürzung und Erhöhung der Umsatzsteuer.
Privatisierungen würden weiter verfolgt, müssten gleichzeitig aber auch unter den Gesichtspunkten Meriten, Arbeitsverhältnisse und Umweltfragen geprüft werden.
b) Selbstverpflichtung, keine Maßnahmen zu ergreifen, die den bestehenden Haushaltsrahmen sprengen oder Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnten.
c)/d) Volle Kooperation mit der EU-Kommission, der EZB und dem IWF („Institutionen“), aber Ablehnung der bisherigen Rolle der Troika in Griechenland (s. Geschichte 5).
e) Bekenntnis zu Finanzverpflichtungen mit allen Gläubigern.
Auch diese Falschinformation des Brüsseler Korrespondenten wurde im weiteren Verlauf der ARD-Berichterstattung nicht korrigiert.
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[147] Yanis Varoufakis. Reden und Diskussionspapiere, a.a.O.
[148] Norbert Häring: Das sind die verrückten Ideen der Griechen, a.a.O.
Kapitel 15 – Die Geschichte von Schäubles Sieg über Varoufakis
Analytischer Teil: Es war einmal…
15 Die Geschichte von Schäubles Sieg über Varoufakis – Eurogruppenvereinbarung vom 20.02.2015
Tagesthemen vom 20. Februar 2015 [Teil I] [149]

Rolf-Dieter Krause (WDR) im Schaltgespräch:
„Um 4 Monate wird das Programm verlängert, und zwar auf der bisherigen Basis: Griechenland verpflichtet sich, die Reformen, die im bisherigen Programm vorgesehen sind, durchzuführen. […] Das Papier atmet völlig den Geist der 18 anderen Mitglieder der Eurogruppe“.

Einziges Zugeständnis an Griechenland seien laut Krause die Umbenennung der Troika in ‚Institutionen‘ sowie ein wahrscheinlich nicht ganz so hoher Primärüberschuss für das laufende Jahr 2015.
Falschinformationen:
Die Aussagen des Korrespondenten sind falsch. Zum wiederholten Mal in nur 3 Wochen werden im Korrespondenten-Schaltgespräch, das gemäß dem journalistischen Authentizitätsanspruch eigentlich dazu dient, der beitragsfinanzierenden Öffentlichkeit unmittelbar Informationen vor Ort bereitzustellen, wesentliche Informationen ausgespart oder/und Falschinformationen verbreitet (s. auch Geschichten 3, 8, 9, 11, 13, 14).
a) In Bezug auf den strittigen Punkt des Primärüberschusszieles (Sparvorgaben) wurde Griechenland nicht nur für das laufende Jahr 2015 eine neue Flexibilität zugestanden, zudem wurde für die zukünftigen Überschüsse die vage Formulierung „angemessener Primärüberschuss“ gewählt. Das bedeutet im Vergleich zu der vorherigen Vereinbarung Verhandlungsspielraum für die griechische Seite in den folgenden Monaten. [150]
b) Griechenland hat sich nicht verpflichtet, sämtliche Reformen, die im bisherigen Programm vorgesehen waren, durchzuführen. Als weiteres wichtiges Zugeständnis an Griechenland wurde die Erlaubnis erteilt, in Absprache Maßnahmen der alten Vereinbarung zu ersetzen und Änderungen vorzunehmen, solange das nicht die Finanzziele oder die Finanzstabilität gefährdet. Damit wird Griechenland ermöglicht, Maßnahmen des alten Programms durch ein neues Maßnahmenbündel zu ersetzen. Genau das war das Anliegen der griechischen Seite in Bezug auf die von ihr als rezessionsverursachend beurteilten Maßnahmen. [151] [152]
Bis zum 23. Februar 2015 soll die griechische Regierung eine erste Reformliste vorlegen, die im kontinuierlichen Verhandlungsprozess mit den Kreditgebern bis Ende April spezifiziert und dann Ende April von den Kreditgebern endgültig akzeptiert werden muss als Voraussetzung für die Auszahlung der letzten Tranche.
Aufgrund des erlangten Verhandlungsspielraums wird diese Vereinbarung zur Verlängerung der Kreditvereinbarung von der griechischen Regierung als Erfolg gefeiert (Yanis Varoufakis: „Wir sind Co-Autoren unseres Schicksals“, Alexis Tsipras spricht von einer „gewonnenen Schlacht“).
Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring kommt nach einer vergleichenden Analyse sogar zum Schluss, „dass die Vereinbarung sehr nahe an dem ist, was Varoufakis 9 Tage vorher angeboten hat“ [153]. Norbert Häring bezieht sich hierbei auf Yanis Varoufakis‘ Vorschläge vom 11. Februar 2015, über die die ARD ihre Zuschauer nicht informiert hatte (Rolf-Dieter Krause: „Vielleicht hat er mündlich was vorgetragen“, Geschichte 9).
Die Falschinformationen über die Eurogruppenvereinbarung wurden im weiteren Verlauf der ARD-Berichterstattung nicht korrigiert, sondern stattdessen kontinuierlich wiederholt:
„Dabei kann der Bundesfinanzminister mit dem vor allem von ihm Erstrittenen durchaus zufrieden sein. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis müssen ausnahmslos alle von der Vorgängerregierung unterzeichneten Spar- und Reformverpflichtungen einhalten.
„Mehr Zeit und harte Auflagen für Athen“ von Ralph Sina, tagesschau.de vom 21.02.2015 [155]
https://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio-11579.html
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[149] Tagesthemen 20.02.2015.
[150] Eurogroup Statement on Greece, 20.02.2015.
[151] Ebd.
[152] Norbert Häring: Was Athen jetzt zusagte, hatte es schon lange vorher angeboten. Norbert Häring. Geld und mehr [Weblog], 23.02.2015.
[153] Ebd.
[154] Ralph Sina: Schäubles Sieg über Varoufakis. tagesschau.de 21.02.2015.
[155] Ralph Sina: Mehr Zeit und harte Auflagen für Athen. tagesschau.de 21.02.2015.
Kapitel 16 – Die Geschichte vom klaren Verhandlungssieger Schäuble geht weiter
Analytischer Teil: Es war einmal…
16 Die Geschichte vom klaren Verhandlungssieger Schäuble geht weiter – das Täuschungsverhalten des Schuljungen
„Der griechische Regierungschef Tsipras nennt die Einigung mit der Eurogruppe eine gewonnene Schlacht. In Wahrheit ist er nach vier Wochen im Amt bereits gescheitert. […]
Denn in Wirklichkeit musste die griechische Regierung gestern am Verhandlungstisch in Brüssel voll und ganz einlenken: Die Sparpolitik wird ohne Abstriche fortgesetzt.
[…] Die griechische Regierung muss bis Montagabend genau das tun, was ihr eigentlich völlig gegen den Strich geht: Sie muss haarklein auflisten, wie sie die Sparauflagen umsetzen wird, und muss dann wie ein Schuljunge diese Liste den Kontrolleuren von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds vorlegen.
Die Kontrolleure tun gut daran, diese Liste strengzu überprüfen. Denn Alexis Tsipras hat mit seiner gewagten Rede von einer ‚gewonnenen Schlacht‘ am Verhandlungstisch Vertrauen verspielt. Er nährt damit den Verdacht, dass er sich gar nicht an die Vereinbarung halten will. Doch dieser Schuss geht nach hinten los: Die anderen Euro-Länder haben dieses Spiel längst durchschaut […].“
Fakten und Analyse:
Schlüsselwörter: In Wahrheit, in Wirklichkeit, gescheitert, voll und ganz einlenken, ohne Abstriche, Schuljunge, streng überprüfen, Vertrauen verspielt, Verdacht, Spiel längst durchschaut
An der sprachlichen Form auch dieses ARD-Kommentars wird deutlich, was der Journalist Michalis Pantelouris als den „konsequenten Ton der Demütigung“ innerhalb der Berichterstattung über Griechenland bezeichnet. [157]
Erneut wird der Erwachsenen-Teenager-Frame aktiviert, hier durch den Schuljungen-Vergleich und die Forderung nach „strenger“ Überprüfung. Mit der Unterstellung, die griechische Regierung habe Vertrauen verspielt, nähre den Verdacht, sich nicht an die Vereinbarungen halten zu wollen und spiele ein „Spiel“, wird der Trickster-Mythos weitergeführt.
Falschinformation:
Die dem Täuschungsverdacht zu Grunde liegende Tatsachenbehauptung, dass die Fortsetzung der Sparpolitik ohne Abstriche vereinbart worden sei, ist falsch (s. Geschichte 15) und wurde ebenso wie die vorhergenannten Falschmeldungen bis heute nicht korrigiert.
Auch Kommentare unterliegen der im RStV festgeschriebenen journalistischen Wahrheits-und Sorgfaltspflicht von Nachrichten (§ 10, 1 RStV):
„Unter Nachrichten in dem hier erwähnten Sinn sind nicht nur Informationen der Nachrichtensendungen zu verstehen, sondern sämtliche Äußerungen des Rundfunks auch in Unterhaltungssendungen u.a… Denn § 10 Abs. 1 ist Grundnorm für die journalistische Berichterstattung und gilt damit schrankenlos für alle Sendeinhalte.“ [158]
Auch in den Tagesthemen desselben Tages wird der griechischen Regierung eine Täuschungsabsicht unterstellt: [159]
Natalie Amiri /Off: Ein erleichterter Gesichtsausdruck war bei Alexis Tsipras zu sehen, als er zur heutigen Kabinettssitzung erschien. Den Durchbruch in der Eurogruppe gestern in Brüssel verkaufte er im Land als einen klaren Sieg […]. Die Regierung will nun Programme für die Ärmsten zur Verfügung stellen, den Mindestlohn anheben, die Renten erhöhen und Arbeitsplätze schaffen – weg von den Sparplänen, die sie gestern erst zusagte. […]
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[156] Thomas Bormann: Tsipras biegt sich die Wahrheit zurecht, tagesschau.de 21.02.2015.
[157] Michalis Pantelouris: Die andere Seite. Der Journalist. Das Medienmagazin, 01.04.2015.
[158] Werner Hahn, Thomas Vesting: Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München 2012, Seite 442.
[159] Tagesthemen 21.02.2015.
Fortsetzung folgt am 19.08.2016